Home » Foto & Kunst »Kultur »Literatur » Currently Reading:

Saphir-Auge

Januar 25, 2023 Foto & Kunst, Kultur, Literatur No Comments

 Ich wachte auf, um mich herum:  Dunkelheit. Wo war ich hier gelandet? Warum kam es mir so vor, als hätte ich einen furchtbar langen Traum gehabt, aus welchem ich soeben erwacht wäre? Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern. Ohne Erfolg. Blind tastete ich um mich. Unter meinen Fingern spürte ich feine, trockene Erde. Dann bemerkte ich ihn: den Geruch von Wurzeln, Moos und… von Papier, von altem Leder und trockenem Holz. Ich hatte das Gefühl, in einer uralten Bibliothek zu sein. Bücher. Ich stutzte… Bücher? Moment… hatte ich nicht irgendwo in meiner Tasche 

 Erleichtert schlossen sich meine Finger um das kleine Feuerzeug, das ich seit meinem neunten Geburtstag immer mit mir herumgetragen und das mir schon so viele Male aus einer schwierigen Situation geholfen hatte. Es klickte, dann erschien eine kleine, helle Flamme, welche beachtlich viel Licht in den riesigen Raum warf, in dem ich saß. Verwirrung ergriff mich, als ich sah, an welchem Ort ich mich befand. Meine Nase hatte sich nicht getäuscht. In der Tat gab es hier Bücher. Doch es waren mehr als ich mir hatte vorstellen können: Tausende und hunderttausend von Büchern reihten sich in Millionen und Abermillionen von Regalen und kein Ende schien in Sicht zu sein. Doch irgendetwas an diesem länglichen Gang machte mir zu schaffen. Zudem schien es, als wäre schon Jahre niemand mehr hier gewesen. Spinnenweben bedeckten die Bücherregale und als ich dem Regal eines der Bücher entnahm, wirbelte eine riesige Wolke aus grauem, trocknem und uraltem Staub auf. Neben mir entdeckte ich einen schon fast abgebrannten Kerzenstummel und entzündete mit meinem Feuerzeug den kleinen, übriggebliebenen Docht. 

 Als die Kerze nach meiner Zufriedenheit ordentlich brannte, wandte ich mich wieder dem Buch zu. Verdutzt starrte ich auf die Vorderseite des Buchdeckels. Nicht die blendend helle, weiße Farbe, in welche der Einband getunkt war oder die hingegen pechschwarzen, mit weißer Tinte beschriebenen Buchseiten waren es, die mich aus der Fassung brachten. Nein, es war die Schrift, die Sprache, in welcher das Buch verfasst war. Ich schien auf Reihen von verzinkten und unlösbaren Mustern aus Dreiecken zu starren. Als ob das nicht schon unheimlich genug gewesen wäre, verwirrte mich eins jedoch nur noch mehr: Die Tatsache nämlich, dass ich die Runen, welche dort doch so unverständlich geschrieben standen und mir so unmenschlich erschienen, entziffern konnte. Doch die Worte, die ich las, verließen meinen Kopf sofort wieder, nachdem ich sie gelesen hatte, und egal wie oft ich es auch versuchte: Mein Gehirn brachte es nicht auf die Reihe einen Satz zu bilden, geschweige denn den Sinn dieser Worte zu verstehen. 

Nach ein paar Minuten gescheiterter Versuche und hunderten von Hirnzellen weniger gab ich es endlich auf und stellte das faszinierende, aber gleichzeitig seltsame Buch dahin zurück, wo ich es herausgenommen hatte. Dann widmete ich mich den anderen Büchern. Diese sahen mitnichten dem Buch, welches ich versucht hatte zu entschlüsseln, ähnlich. Im Gegenteil: Diese Bücher hatten einen schwarzen Buchdeckel, welcher manchmal mit weißen oder grauen Runen beschrieben war, weiße Buchseiten und das Mysteriöseste: Sie waren zwar, soweit ich das beurteilen konnte, in derselben Sprache wie das einzigartige helle Buch verfasst, doch diesmal ergaben die Runen Sinn. Überrascht blätterte ich durch die Seiten mehrerer Bücher und erkannte, dass diese eine fremde, seltsame Welt schilderten, welche, wie ihr sicherlich versteht, mich umso neugieriger machte. 

 Immer weiter begab ich mich in die schier endlosen Gänge des Labyrinths, die sich vor mir erstreckten, und immer seltsamer wurden die Gegenstände, welche in den Regalen gelagert wurden. Denn mittlerweile ließen sich in den Regalen nicht mehr nur Bücher blicken, sondern auch ungewöhnliche, sonderbare Gegenstände. Je weiter ich in die Tiefen der Gänge eindrang, desto gruseliger und auch grausamer wurden die Dinge, die ich sah. Da waren zum Beispiel diese auffällig spitzen Zähne, die in einem mit Staub verschmutzten Einmachglas lagen und aussahen, als würden sie bei der kleinsten Berührung zu Staub zerfallen. Drei Regale weiter erwartete mich der nächste Schock: Ein Paar blutrote Augen starrte mir direkt ins Gesicht. Vor lauter Schreck taumelte ich einen Schritt zurück und stieß gegen das genüberliegende Regal. 

 Es klirrte, dann breitete sich ein schrecklich ätzend und nach verfaulten Eiern riechender Gestank aus. Bestürzt sah ich auf die glibberig-grüne und überaus giftig aussehende Masse, die sich unter meinen Schuhen ausbreitete. Sie kam aus einem weiteren Glas, welches ich, so schien, soeben durch meine Unachtsamkeit vom Regal gestoßen hatte. Ich machte, dass ich weiterkam und nach meiner schockierenden Erfahrung soeben passte ich auf, wohin ich trat. Dann endlich neigte sich der Gang dem Ende zu. Ich trat um eine Ecke und sah einen weiteren Gang, in dem Regale mit Büchern und anderen, exotischen, gefüllten Dingen standen. Doch etwas war anders geworden. Kälte durchdrang meine Kleidung und meine Gänsehaut stellte sich auf. Eine riesige Präsenz begann sich vor mir aufzubauen und schnürte meine Kehle zu. Etwas Gewaltiges begann sich zu regen, aufzuwachen und ich wusste nur eins: In dem Moment, in dem dieses Wesen seine Augen auf mich richten würde, wollte ich ganz gewiss nicht hier sein. Ich machte, dass ich wegkam. 

 Oder das wollte ich zumindest. Doch meine Muskeln versagten. Ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen, nicht einmal einen Finger heben. Kurz: Ich stand wie angewurzelt fest. Ein eisig kalter Wind blies urplötzlich durch den Gang und das mickrige Überbleibsel meiner Kerze, welche ich auf dem Weg durch den Gang gefunden hatte, erlosch. Meine Augen tränten und ich blinzelte kurz. Als ich sie wieder aufschlug, starrte ich direkt in ein paar leuchtend saphirblaue Augen. Versteht mich nicht falsch. Es war nicht die wunderschöne, blaue Farbe von einem funkelnden Saphir, nein, es war die Art von Blau, die dich erschaudern und dir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Als ich erkannte, welche Art von Wesen da über mir auf einem Regal saß und auf mich herabblickte, war ich sichtlich verwirrt. 

 Als die Katze dann auch noch anfing zu sprechen, kniff ich mir in den Arm, um zu überprüfen, ob ich nicht doch träumte. Doch das Einzige, das ich damit bezweckte, war, dass mein Unterarm kurze Zeit höllisch weh tat. „Du hast also hergefunden“, sagte sie und ein mysteriöses Lächeln trat auf ihre Lippen (die Lippen der Katze) und ja, ich weiß, was ihr mich jetzt einwenden werdet: „Aber Katzen können doch gar nicht lächeln!“ Doch, ich sage euch, in diesem Moment umspielte ein wahrhaft teuflisches Grinsen ihre Lippen und es wirkte so menschlich, dass es mir schon fast unheimlich wurde. „Ich habe… bitte was?“, fragte ich mit zittriger Stimme. „Hergefunden“, sagte die Katze, „Ins ewige Labyrinth der Bücher. Nicht hier und nicht dort.“, sagte sie. Der ironische, nein eigentlich schon sarkastische Gesichtsausdruck blieb bestehen. Anscheinend musste ich ein dummes und verdutztes Gesicht gemacht haben den die Katze seufzte tief und begann zu erklären. „Das ewige Labyrinth ist ein Ort, der sich nach deiner Vorstellung verändern kann. Für die meisten ist es am Anfang ein Labyrinth. Es gibt exakt drei Schlüssel, welche dich, vorausgesetzt du findest alle, zu deiner eigenen Welt zurückführen können.“ „Für die meisten? Das heißt… es gibt noch andere?! Und wer bist du?“, stotterte ich verdutzt. Die Katze schmunzelte.

 

Teil zwei kommt bald!          

 

Veronika

Comment on this Article: